Kommerzialisierung aller Lebensbereiche

Zeise Fabrik, Ecke Friedensallee, um 1980
Zeise Fabrik, Ecke Friedensallee, um 1980. Stadtteilarchiv Ottensen, CC-By-Sa 3.0

Das Gute Leben kommt aus dem Supermarktregal, aus dem Online-Shop oder einem Video-Kanal. So oder ähnlich lautet das allumfassende Versprechen der Konsumindustrie. Die Werbung als Speerspitze dieses Gesellschaftsmodells überbringt die Botschaft. Um stetes Wirtschaftswachstum zu generieren, werden immer weitere Lebensbereiche kommerziell verwertet. Nichts, was sich nicht als käufliches Produkt vermarkten ließe. In China kann man bereits Luft zum Atmen kaufen.

Wichtige Treiber dieser Entwicklung sind Konsumgüter- und Dienstleistungskonzerne, in deren Auftrag die WPP Werbung betreibt. Dieser Konzern hat ein elementares Interesse: Mehr Markt und mehr Konsum gleich mehr Werbung und mehr Gewinn.

– Olympia

Ein bedrückendes Beispiel für die permanente Umwandlung eines Produkts menschlicher Leistungskraft und Phantasie in ein käufliches Produkt liefert Olympia. Ursprünglich mit dem Anspruch der Völkerverbindung und dem ur-demokratischen Motto „Dabeisein ist Alles“ angetreten, verbinden weite Teile der Bevölkerung mit Olympia heute Korruption und Kommerz. Von unzähligen Skandalen ernüchtert misstrauen sie dem – zweifellos immer noch – schönen Schein der Olympischen Spiele als sportlichem Ereignis. Olympia, so der Eindruck, wird inzwischen dominiert vom Business internationalen Konzerne, denen das weltweit beachtete Ereignis eine perfekte Plattform für globale Vermarktung liefert.

Als die Hamburgerinnen und Hamburger 2016 in einem Referendum Olympia 2024 in Hamburg ablehnten, spielten diese Zusammenhänge eine wichtige Rolle. Wie hätte das Ergebnis der Volksbefragung wohl ausgesehen, wenn die weitreichenden Zukunftspläne des Internationalen Olympischen Komitees bekannt gewesen wären? Im IOC wird intensiv daran gearbeitet, das ‚Produkt Olympia‘ noch weit radikaler zu kommerzialisieren, als es bereits der Fall ist. Beteiligt an dieser Agenda: WPP-Chef Martin Sorrell.

Ihm hatte der Präsident Thomas Bach auf der IOC-Vollversammlung 2015 in Kuala Lumpur die Rolle zugedacht, als Experte für ‚Medienzukunft‘ die versammelten Mitglieder von den Vorzügen eines ‚Olympic Channel‘ – eines eigenen, vollständig selbst vermarktbaren TV-Kanals – zu überzeugen. Martin Sorrell war erst die zweite Person überhaupt, die als Nichtmitglied vor der IOC-Versammlung sprechen durfte. Nur dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, war diese Ehre zuvor einmal zuteil geworden. (36)

Beim Thema ‚Olympia‘ laufen mehrere Fäden der WPP-Geschäftstätigkeit zusammen: Die intensive Betreuung des IOC durch PR-Firmen des Konzerns seit Jahrzehnten, ganz besonderes in kritischen, von Korruption, Doping oder zweifelhafter Menschenrechtslage geprägten Krisensituationen, und das enorme Interesse der WPP, durch Förderung von Olympia an der Entwicklung neuer Absatz- und Werbemärkte teilhaben zu können, wie dies insbesondere bei der ‚Eroberung‘ Chinas durch die Olympischen Spiele in Peking 2008 der Fall war.

In seiner Rede erklärte Martin Sorrell den IOC-Mitgliedern 2015 also, Olympia würde irrelevant für die jüngere Generation werden, wenn deren Gewohnheit, Informationen aus dem Internet zu beziehen, nicht zum Maßstab werde. Die Frankfurter Allgemeine berichtete vom Appell des WPP-Chefs an das IOC: „Sie müssen überall dort sein, wo die Konsumenten sind.“ Auf Smartphones und Tablet-Computern, und nicht nur alle zwei Jahre für 16 Tage, sondern auch zwischen den Spielen. Olympia als Dauerzustand, ununterbrochen vermarktbar, das soll nach Auffassung des WPP-Chefs die Zukunft sein. (36) Das Motto des ‚Olympic Channel‘, der bereits im Aufbau ist, lautet passend: ‚Wo die Spiele niemals enden‘. Der Spiegel griff diese Entwicklung in einem Artikel Anfang 2017 auf und knüpfte die Frage an: „Was bedeuten diese Umwälzungen für den Sport? (…) Die journalistische Begleitung des Sports hat immer weiter an Bedeutung verloren. Kritische Stimmen finden kaum noch Verbreitung. Die ‚Selbstberichterstattung‘ der Vereine und Verbände (…) wird weiterhin zunehmen.“ (37)

An dieser Stelle bleibt festzuhalten: Ein perfektes Konsumumfeld und Meinungsvielfalt passen bei Olympia einfach nicht zusammen.

– Länder als Markenprodukt

Ein weiteres Geschäftsfeld, in dem kommerzielle Interessen hinter dem Gemeinwohlinteresse der Bevölkerung bislang zurückzustehen haben, hat sich die WPP bereits ausgeguckt, um dort die Vermarktungslogik käuflicher Waren zu etablieren: Länder, man könnte auch sagen: Gemeinwesen. Von Städten und Regionen ist man bereits gewohnt, dass sie bei Touristen und Investoren unter dem Begriff des ‚Stadtmarketing‘ beworben und ‚verkauft‘ werden. WPP dreht die Schraube weiter und will dieses Konzept auf Länder ausweiten.

Ende Januar 2016 präsentierte der Werbekonzern beim ‚Weltwirtschaftsforum‘ in Davos (WEF) zusammen mit einer US-Zeitung und einem Wirtschaftsinstitut erstmals ihren Best Country Report. Deutschland wurde die zweifelhafte Ehre zuteil, auf Platz 1 zu landen. (38) Die Qualität der Kritierien und die Platzierung waren allerdings nebensächlich, entscheidend war die Botschaft des Rankings. Ein an der Studie beteiligter Marketing-Professor brachte sie auf den Punkt: „Why Countries Need to Sell Themselves“. (39)

Dass die Studie in Davos vorgestellt wurde, war kein Zufall. Martin Sorrell ist dort Dauergast und bestens vernetzt. Seine Ehefrau ist die rechte Hand des WEF-Gründers und -Präsidenten. Die Frankfurter Rundschau charakterisierte die jährlich stattfindende Veranstaltung als „planetarisches Jahrestreffen der Reichen und Mächtigen“. (40)

Während des Treffens im Januar 2015 präsentierte die Organisation Oxfam übrigens einen vielbeachteten Report zur ungleichen Verteilung des Reichtums in der Welt. Demnach besitzen ein Prozent der Menschheit über die Hälfte des globalen Reichtums. In einer eigens zu diesem Thema veranstalteten WEF-Diskussion mit der Oxfam-Vertre­terin rechtfertigte WPP-Chef Sorrell die Reichtumsverteilung mit der simplen, Zweifel säenden Umkehrbehauptung, es gäbe „keine Beweise, dass Gleichheit Wohlstand erzeuge“. (41) Das Thema ‚Reichtum‘ betraf ihn persönlich als einen der bestbezahlten Manager der Welt. 2014 verdiente er 60 Millionen Euro, 2015 waren es 90 Millionen. (42)

Auch der Hamburger Ableger der WPP-Tochter Scholz & Friends möchte am Kuchen der politischen Werbung beteiligt sein. Mit Bezug auf die Losung „Why Countries Need to Sell Themselves“ profilierte sich der Geschäftsführer von Scholz & Friends Hamburg, Roland Bös, im März 2016 mit einem Beitrag in der Huffington Post als Experte für das „Markenimage Deutschlands“. Anlass waren die Landtagswahlen in Baden-Württem­berg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz, aus denen die AfD als Gewinnerin hervorgegangen war. Der Hamburger Scholz & Friends-Chef empfand seinen Ansatz, den politischen Rechtsruck vor allem in seinen Auswirkungen auf den Geschäftserfolg von Unternehmen zu betrachten, selbst als „beinahe zynisch“. Das hielt ihn allerdings nicht davon ab, das Folgende zu veröffentlichen:

„Nun ziehen offenkundig rechtspopulistische Kräfte in gleich drei Landesparlamente ein. Man muss kein Image-Experte sein, um zu erkennen, dass dieser ‚Albtraum‘ (Bild) schon seit Monaten kein vorteilhaftes Bild von der Marke Deutschland zeichnet. Angesichts der großen Not so vieler heimatloser Menschen wirkt es beinahe zynisch, sich jetzt um das Markenimage unseres Landes zu sorgen. Aber in einer zusammen wachsenden Weltwirtschaft stehen einzelne Staaten in einem immer härteren Wettbewerb. Bei diesem gelten auch für sie zunehmend die Gesetze der Marke. Ein System, das wir lange Zeit vor allem aus der Konsumgüterindustrie kannten, findet heute längst seine Anwendung in allen Bereichen des Lebens. (…) Der Schaden, den ein schlechtes Markenimage für eine Volkswirtschaft wie Deutschland haben kann, erscheint da zu Recht besorgniserregend. So kann ein schlechtes Markenimage dazu führen, dass Investoren oder Touristen künftig einen Bogen um ein Land machen. Darüber hinaus kann die Attraktivität der Waren und Dienstleistungen sinken, welche von diesem Land auf dem Weltmarkt angeboten werden. Ein plötzlich ’schwarz-rot-goldbraun‘ gefärbtes deutsches Markenzeichen ist also nicht nur ein gesellschaftliches Armutszeugnis, sondern auch in höchstem Maße geschäftsschädigend.“ (43)

– Rolle von NGOs und Demokratieverständnis

Die Vermarktung aller Lebensbereiche dient zuallererst der Ausweitung unternehmerischer Geschäftstätigkeit und entsprechender Gewinnchancen. Eine Aushöhlung der Demokratie könnte die Folge sein, wenn sukzessive alle Güter der Daseinsvorsorge und des Gemeinwohls der Logik einer angeblich ‚freien‘ Marktwirtschaft unterworfen werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat diese Entwicklung auf den Punkt gebracht mit ihrem Wort von der „marktkonformen Demokratie“.

Eine starke Rolle ‚der Wirtschaft‘ hat sich auch die WPP-Tochter Hill+Knowlton auf die Fahne geschrieben. Thomas Wimmer, Leiter des Berliner Büros der PR-Firma, beklagte in einem Aufsatz im Juli 2015 die angebliche ‚Macht der NGOs‘, also von Nichtregierungsorganisationen, in der politischen Debatte: „TTIP, Fracking, Grüne Gentechnik: An Beispielen für die in Deutschland zunehmend vehemente Ablehnung bestimmter Entwicklungen und Neuerungen herrscht wahrlich kein Mangel. Gleichzeitig heißt es, Wirtschaftslobbyisten und Spindoktoren seien die eigentlich Mächtigen im Lande; sie zögen im Verborgenen die Strippen und diktierten die politische und mediale Agenda. NGOs und zivilgesellschaftliche Akteure hingegen wird gar nicht als solche empfunden; es wird vielmehr kritiklos unterstellt, dass es einzig um das Allgemeinwohl gehe.“ Klar, dass der Berliner Direktor einer Spin-Doctor-Firma dagegen zu Felde zieht. Wimmers Credo: „Vieles funktioniert gut in unserer Gesellschaft. Vieles wird ausführlich diskutiert. (…) Bürger und Interessengruppen haben umfangreiche Möglichkeiten, sich in Entscheidungsprozesse einzubringen.“ Der PR-Mann beklagt „eine fundamentale Ungleichbehandlung unterschiedlicher Akteure in öffentlichen und medialen Debatten“, und er raunt: „In bestimmten meinungs- und publikationsstarken Kreisen herrscht so ein Zeitgeist, der von hohem Misstrauen gegenüber Wirtschaft und Politik, latentem Antiamerikanismus sowie Wachstums- und Kapitalismuskritik geprägt ist.“ Zum Schluss umschmeichelt er seine potenziellen Kunden: „Nicht jedes Anliegen ist gut, nur weil es von Food Watch [sic!], Greenpeace oder einer lokalen Bürgerinitiative vertreten wird. Nicht jedes Anliegen ist schlecht, nur weil der BDI oder ein Industrieunternehmen dahintersteht.“ (45)

Es soll nicht unerwähnt bleiben, wie Martin Sorrell im Juni 2016 auf die Brexit-Entschei­dung der britischen Wählerinnen und Wähler reagierte. Der WPP-Chef war sauer, er hatte die Kampagne zum Verbleib Großbritanniens unterstützt. Als Konsequenz aus dem Wahlergebnis forderte er die Einführung einer allgemeinen Wahlpflicht. „Jeder sollte wählen müssen“, sagte er im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen. Und weiter: „Die Wahlbeteiligung sollte bei 100 Prozent liegen. Wenn jemand nicht wählen geht, sollte er bestraft werden.“ (46) Durch welche Magie er sich davon Wahlergebnisse nach seinem Wunsch verspricht, ist nicht zu ergründen. Der Gestus ist allerdings aufschlussreich: Sorrell äußerte sich wie ein autoritärer Machthaber, dem eine demokratische Abstimmung das Geschäft versaut hat und mit dem unverhüllten Wunsch, die Wählerschaft für ihr abweichendes Verhalten zu bestrafen.

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